Die Financial Times Deutschland (FTD) hat geschrieben:Lidl-Aktion kann Bahn noch schaden
von Leo Klimm, Financial Times Deutschland (FTD)
Nach der großen Billigticket-Aktion bei Lidl ist Bahnchef Hartmt Mehdorn glücklich. Doch die Kunden sind es längst nicht alle, ein juristisches Nachspiel zeichnet sich ab. Der langfristige Marketingerfolg ist ebenfalls zweifelhaft.
"Wir haben viele Menschen glücklich gemacht", sagt ein Bahnsprecher. "Wir haben aber sicher auch viele enttäuscht." In der Tat könnte der große Marketing-Erfolg der Fahrkartenheftchen à 49,90 Euro sich im Nachhinein noch gegen Bahn und Lidl verkehren.
Hunderttausende Kunden, die am Donnerstag teils stundenlang früh morgens vor den 2600 Lidl-Filialen anstanden, sind leer ausgegangen und verärgert. Sie wurden von dem Discounter mit der Aussicht vertröstet, durch den Eintrag auf vorbereitete Listen doch noch eines der begehrten Tickets zu bekommen. Doch wie Bahn-Insider am Freitag bestätigen, war schon am Donnerstag klar, dass es so gut wie keine Chance gibt, über die Listen noch an Billig-Fahrkarten zu kommen.
"Vom Ansturm überrascht"
Durch die Listen wurden hunderttausendfach Erwartungen geweckt, die nun nicht erfüllt werden. "Wir können diejenigen, die beim Rennen auf die Lidl-Tickets zu spät gekommen sind, nur um Verständnis bitten", sagt der Bahnsprecher. "Wir wurden selbst von dem Ansturm überrascht."
"Diese Argumentation kennen wir schon von anderen Lockvogelangeboten", sagt Patrick von Braunmühl vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. Für ihn liegt bei der Billigticket-Aktion ein klarer Fall von irreführender Werbung vor. Bahn und Lidl hätten ihre gesetzliche Pflicht verletzt, die Aktionsware Billigticket in ausreichender Menge vorrätig zu haben. "Eine Million Fahrscheine war viel zu wenig", sagt Braunmühl.
Vielleicht die letzte Billigticket-Aktion
"Nach der riesigen PR-Aktion im Vorfeld und angesichts der verlockenden Ticketpreise kann der große Andrang die Unternehmen nicht überrascht haben." Sehr wahrscheinlich werden die Verbraucherzentralen Lidl auf Unterlassung verklagen. Wenn sie Erfolg haben, wird die Billigticket-Aktion vom Donnerstag die erste und zugleich letzte in dieser Form gewesen sein. In jedem Fall muss Lidl mit einer Abmahnung der Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs rechnen, wie deren Geschäftsführer am Freitag ankündigte.
Die Listen, auf die sich die Verlierer des großen Ticket-Runs am Donnerstag eingetragen haben, sieht Verbraucherschützer Braunmühl als Trick, die Kunden ohne große Aufregung wieder aus dem Laden zu bekommen.
Besorgnis der Kunden um ihre Daten
Ein Lidl-Sprecher widersprach dieser Auffassung: "Die Listen entsprangen dem ernsthaften Bemühen, den enttäuschten Kunden doch noch ein Ticket zu besorgen." Was nun mit den vielen Tausend Kundendaten geschehen soll, die Lidl mit der Aktion eingesammelt hat, ist unklar. "Wir wissen, dass sehr viele Menschen darüber besorgt sind, was nun mit ihren Angaben geschieht", sagte der Lidl-Sprecher. Die Verbraucherschützer fordern, die Adressen aus datenschutzrechtlichen Gründen zu vernichten.
Für ein gutes Marketing auch nach der PR-Aktion wäre die Vernichtung der Listen genau das Falsche, sagt Matthias Jahn, Geschäftsführer der Werbeagentur Foote, Cone & Belding (FCB). "Wenn die Bahn schon so viele enttäuscht hat, sollte sie die Listen nutzen, um diesen Kunden doch noch etwas anzubieten. Einen Gutschein, zum Beispiel", sagt Jahn. "Was jetzt nicht passieren darf, ist, dass gar nichts passiert", sagt der FCB-Experte.
Bahn erzielt keinen Imagegewinn
Überhaupt sieht er die Bahn nicht als großen Gewinner der Discounter-Aktion. "Viele von denen, die schon vorher Bahn-Frustrierte waren, sind es seit Donnerstag noch mehr." Zu einem echten Erfolg für die Bahn könne die Aktion aber doch noch werden, wenn die Lidl-Tickets selbst zur Marke gemacht und regelmäßig angeboten würden. Das aber hat Bahn-Chef Mehdorn noch am Donnerstagabend kategorisch ausgeschlossen.
ftd.de, 20.05.2005, 13:42 Uhr
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